Das lange Warten auf die ersten Cannabis-Pflanzen
Positives Gerichtsurteil vorerst nur mit Symbolcharakter
In Deutschland, dem Erfinderland von DIN-Norm und TÜV, muss alles ganz genau geregelt sein. Selbst zum Anbau von ein paar Cannabispflanzen von Patienten schreien Gesetzgeber und Gerichte nach einem Regelwerk, das jedes noch so kleine Detail zum Umgang mit der eigenen Medizin vorgibt. Da das verantwortliche BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) schon einen Haufen Niederlagen vor Gericht hinnehmen musste, ohne den beantragten Eigenanbau je zuzulassen, kann man auch im Fall von Günther Weiglein und den beiden anderen Klägern davon ausgehen, dass die Erlaubnis erteilende Behörde auch hier in Berufung geht. Nach dem Kölner Verwaltungsgericht gäbe es noch zwei mögliche Instanzen, so dass das Bundesgesundheitsministerium, dem das BfArM untersteht, die ersten legalen Hanfpflanzen durch Ausschöpfen der juristischen Mittel noch zwei Jahre hinauszögern könnte. Dazu müsste allerdings den drei Patienten, denen vom Gericht eine Notlage bescheinigt wurde, ihr Medizinalhanf vorerst von der Krankenkasse erstattet werden. Das wäre bei dieser Lage der Dinge nicht verwunderlich, schließlich hat die Krankenkasse bei einem ähnlich gelagerten Fall eingelenkt und bezahlt Michael Fischer aus Mannheim seit einiger Zeit immerhin das Dronabinol, dessen Kostenübernahme zuvor jahrelang abgelehnt wurde. Vor seiner Gerichtsverhandlung, in deren Rahmen Fischer der Anbau zwar nicht erlaubt, jedoch auch nicht grundsätzlich verboten wurde, zahlt die Kasse, oh Wunder, auf einmal die lebensnotwendige Medizin des MS-Patienten. Jetzt liegt bei Fischer keine Notlage mehr vor, die einen Anbau begründen würde. Dazu muss man wissen, dass Krankenkassen pflanzliches Cannabis eigentlich gar nicht bezahlen dürfen, ohne eventuell regresspflichtig zu werden. Da geht es um Verkehrsfähigkeit und Zulassung eine Medikaments. Eine Kasse, die ihrem Patienten das verordnete Cannabis erstattet, begibt sich auf juristisch sehr dünnes Eis. Es wäre an der Bundesregierung, das zu ändern, indem auch pflanzliches Cannabis wieder als verkehrsfähige Medizin registriert würde. Doch dazu müsste Deutschland, ähnlich wie Kanada oder die Niederlande, eine staatliche Cannabisagentur gründen. Das verlangen die Statuten der UN, aber so weit, dass man pflanzliches Cannabis als echte Medizin anerkennt, ist man bei den verantwortlichen von CDU/CSU und SPD noch lange nicht. Zur Zeit scheint es den Verantwortlichen noch darum zu gehen, die erste nicht strafbare, potente Hanfpflanze auf deutschem Boden zu verhindern. Es wäre kaum verwunderlich, wenn die CDU/SPD Koalition die Zeit der nächsten Prozesse nutzt und beschließt, jetzt selbst medizinisches Cannabis anzubauen. So könnte man verhindern, dass Cannabis von Patienten privat angebaut wird, falls die Richter weiterhin ein Einsehen in die Notlage einzelner Patienten haben.
Auch ein Pflänzchen ist zu viel
Eine Pflanze enthält nun mal mehr als eben jene 7,5 Gramm-Obergrenze, was eine Einstellung des Verfahrens juristisch unmöglich macht. Deutschlands Nachbarn haben da oft viel liberalere Regelungen: In Tschechien oder den Niederlanden sind bis zu fünf Pflanzen geduldet, in Belgien ist es eine und in Spanien wird sogar der gemeinschaftliche Anbau in so genannten Cannabis Social Clubs toleriert. Selbst in Österreich wird die geringe Menge über die Auffinde-Umstände definiert: Ohne Waage oder Geldbündel in Szene-typischer Stückelung können Richter und Staatsanwalt davon ausgehen, dass die gefundenen hundert oder zweihundert Gramm der letzten Ernte für die eigene Pfeife bestimmt waren. Das führt dazu, dass kleine „Grower“ in einigen EU-Staaten, gänzlich ungestraft oder mit einer Ermahnung davon kommen. Selbst nicht blühende Hanfpflanzen sind in der Alpenrepublik legal und werden zur „Aromatherapie“ verkauft. Die Käufer sind lediglich verpflichtet, die Bildung von Blüten zu verhindern. Bildet die Pflanzen dann doch Blüten, sind sie zwar illegal, aber trotzdem lecker und lange nicht so verboten wie hierzulande. In Oberösterreich wurde 2012 ein Verfahren gegen zwei Grower eingestellt, bei denen zwei Kilo Gras gefunden wurden-wg. Eigenbedarf. Zwar hat Deutschland die Strafen für den Besitz von ein paar Blütchen bereits vor 20 Jahren gelockert, das stetig wachsende Phänomen des Grasanbaus@home wird bis heute allerdings wie eine schwere Straftat geahndet. Zusammen mit EU-weit einzigartig harten Sanktionen beim Verkehrsrecht, das nicht selten als Ersatz-Strafrecht für Hanf Konsumierende missbraucht wird, werden heute weitaus mehr Ressourcen zur Maßregelung von Kiffern eingesetzt als vor der Einführung der geringen Menge-Regelung in den späten 1990er Jahren.
International ganz hinten
Europa ist in Sachen Cannabis-Blüten fast zum Selbstversorger geworden, Importe spielen mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Auch so ziemlich jeder Kiffer kennt heutzutage ein geheimes Gärtchen im Freundeskreis, auf dessen gemeinsame Verkostung man sich oft schon Monate vorher freut. Tschechien, Spanien, Österreich, die Schweiz oder die Niederlande behandeln solche Kleinstgärtner nicht anders als Konsumenten, in Deutschland finden sich mit 10 oder 12 Pflanzen ertappte Selbstversorger nicht selten als „Hasch-Plantagen Betreiber mit professionellen Equipment“ erst in der Lokalpresse und später vor Gericht wieder. Das Betäubungsmittelrecht kennt selbst für den kleinsten Hanfzüchter, der nie ein Gramm verkauft oder abgegeben hat, keine Straffreiheit wie für Konsumenten, die mit ein paar Gramm Gras erwischt werden.
Die Bundesrepublik ist auf dem besten Weg, eine Entwicklung zu verschlafen, die nicht nur in den USA unaufhaltsam ihren Weg zu gehen scheint. Mit ihrem Editorial vom 27.Juli hat sich sogar die New York Times als eine der größten und einflussreichsten Tageszeitungen der USA für eine bundesweite Legalisierung von Cannabis ausgesprochen, Gras ist für US-Medien schon lange nicht mehr Tabu-, sondern Top-Thema.
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